05.10.2018

Mut zur konsequenten Inkonsequenz


Das Festival startet mit dem Tanztheater Erfurt und seinem Stück „Konsequenzen“. Die abwechslungsreiche Szenenschau öffnet thematisch viele Räume und will diese tänzerisch schließen – Kommentar eines komplexen Spiels von Anton Fuchs. 

Was bedeutet Konsequenz? Diese Frage stellt Moderatorin Katharina Vötter dem Publikum bereits in der Anmoderation, noch bevor überhaupt eine tanzende Person zu sehen war. „Konsequenz“, erklärt Vötter „bedeutet dem Wortsinn nach eigentlich nur, dass irgendetwas folgt“. Wenn das die einzige mögliche Definition von „Konsequenz“ ist, dann haben die neun Tänzer*innen ihren Auftrag bravourös gemeistert. Denn es folgte viel aufeinander, wenn auch nicht immer in klar ersichtlicher Reihenfolge. Man würde fast die überstrapazierte Beschreibung des Stücks als „collagenartig“ bemühen, wäre diese nicht genauso inhaltsleer wie das Wort „Konsequenz“. 
Das Stück bestand aus einer bunt zusammengewürfelten Szenenschau, die, technisch auf äußerst hohem Niveau, verschiedenste gesellschaftliche und soziale Themenfelder miteinander verknüpfte. Als Erfurter Konsequenzen sah man Szenen von intimer Zweisamkeit mit dem Smartphone, fliegende Geldscheine, Live-Kamera-Projektionen und einen Menschen mit Mauern vor dem Kopf. Politische Anspielung auf die Mauer zu Mexiko? Wahrscheinlich. Integration und Ausgrenzung, wenn einzelne Akteure nur durch das fehlerfreie Aufsagen eines Zungenbrechers nach vorne treten dürfen? Möglich. Vielleicht ein Thema, das das internationale Ensemble um Ester Ambrosino auch persönlich betrifft. Jahrmarkt, Werbung und aufblasbare Brüste werden hier genauso verhandelt wie soziale Seilschaften in virtuellen Realitäten. Es ist der Tanz, der hier das Werk zusammenhält : ausdrucksstark und athletisch - auch für mich als Tanz-Laien.
Doch wo ist die inhaltliche Konsequenz? Der Titel will sich an diesem Abend nicht direkt erschließen. Doch möglicherweise ging es hier gar nicht so sehr darum, wirkliche „Konsequenzen“ unseres alltäglichen Handelns zu zeigen. Vielmehr scheint es dem Ensemble darum zu gehen zu erzählen, was passiert, wenn wir uns nicht konsequent „menschlich“ verhalten, sondern uns vollständig in einer Gesellschaft unterordnen, die aus sozialer Inkonsequenz und Problemen besteht.
Ob diese Zusammenstellung auch emotional ankommt, bleibt an diesem Abend fraglich. Im Publikum hört man Stimmen von totaler Mitgerissenheit bis hin zu vollkommenem Unverständnis. Sicherlich nicht die schlechteste Reaktion auf ein Stück, das von der Jury als „politisches Update“ gelobt wird. Ästhetisch anspruchsvolle Aufbauten fesseln, die daraus resultierenden Umbrüche verwirren leider eher. Die Ästhetik überzeugt durch bekannt-spannende Personenkonstellationen. Auffällig häufig bewegen sich die Akteure im Zentrum der Bühne oder verteilen sich im konventionell asymmetrischen goldenen Schnitt auf der Bühne. Bekannte Formen wie der Lauf im Quadrat am Rand oder auf der Bühnendiagonalen wirken dabei nicht langweilig, sondern wirken in der Vielzahl der Themen beruhigend formgebend. Ähnlich Kostüm und Licht. Weißes Licht mit weißer Kleidung zu elektronischer Musik können konventionell sein – oder den Blick auf die Handlung wenden, besonders wenn diese nicht stringent ist. Dazu kommen eine Unmenge an Anspielungen, die, auch wenn man sie glaubt, erkannt zu haben, nicht immer einen Mehrwert bieten: Pina Bausch, Guernica, Trump.
Vieles wird angerissen, wenig erklärt, alle Fragen bleiben offen. Aber vielleicht ist das eben die Konsequenz aus Erfurt.