08.10.2018

Schönheit ist nicht alles – es ist das einzige!



Die Abschlussinszenierung des Avant Art Festivals kommt vom Stellwerk Weimar: Mit „Alice im Runwayland“ präsentieren sie ein altes Thema im performativen Gewand. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen konventionell und innovativ.

Ein Kommentar von Anton Fuchs

Es gibt keine Bühne – oder na ja: es gibt eine Raumbühne. Als einzige Gruppe traut sich das Stellwerk, auf konventionellen Bühnenaufbau zu verzichten. Auf der Hinterbühne des Kulturhauses sind zwei große Spiegelwände und ein Laufsteg aus Gras aufgebaut. Die Zuschauer sitzen dazwischen. Dies führt unweigerlich zur seltsamen Situation, dass man zu keinem Moment ein Gesamtbild der Situation bekommt. An sich ein spannendes Mittel, nur die zweite Reihe musste mit erheblichen Sichteinschränkungen leben. Die Spielenden zwischen 13 und 19 Jahren agieren die ganze Zeit. Permanent passieren Dinge, und man fragt sich: Entgeht mir gerade möglicherweise der Schlüssel, um das Ganze zu verstehen? Aber damit muss man klarkommen. Denn auch die Bilder, die man sieht, haben ihren Reiz: ausgefeilte Gruppenchoreographien, spannend beleuchtete Bilder und angedeutete Schmerzperformance. Dabei vermischt die Gruppe inhaltlich die Geschichte von „Alice im Wunderland“ mit der TV-Show "Germanys next Topmodel". Die Mischung funktioniert. Die Gleichsetzung des unlogischen Wunderlands mit dem verrückten System der Modeindustrie erschließt sich direkt. So direkt, dass man sich wundert, dass dieses eine Thema einen ganzen Abend tragen kann.

„Ich habe kein richtiges Talent, aber ich bin hübsch“

Als Alice ins Wunderland kommt, wird schnell klar, dass ihre Motivation aus einer Unsicherheit mit dem eigenen Körper entspringt. Sie sucht Bestätigung. Diese bekommt sie aber nur für bedingungslosen Gehorsam gegenüber einem verrückten System. Jeder scheint es gut mit ihr zu meinen, doch schlussendlich treiben sie alle immer weiter in den Wahnsinn. Der Dr. Hutmacher verordnet Schönheitsoperationen, die Königin hört Punk und den Hasen gibt es gleich zweima. Die Grinsekatze scheint mit ihren Ratschlägen einer besten Freundin nur helfen zu wollen und füttert Alice doch bloß mit Watte. Lediglich die auf einer Mauer in der Mitte sitzende Haselmaus erscheint hin und wieder als eine Stimme der Vernunft. Wer sich als Zuschauer dabei an der Geschichte des Wunderlands entlanghangeln will, kommt schnell an seine Grenzen: Viele Figuren sind nur angedeutet oder vermischen sich mit anderen. Das ist manchmal eher verwirrend als hilfreich. Alles geschieht dabei in einem lakonischen Vortragsmodus, der dem Ganzen den Anschein der Normalität gibt. Meistens zumindest.

Zeitgleich will das Stück gar keine Handlung präsentieren, sondern Performance sein. Das klappt weite Teile des Stückes sehr gut. Immer wieder kämpfen diese beiden Elemente aber auch gegeneinander an. Die Performance wirkt zu einstudiert, um spontan zu sein. Die Bilder sind eigentlich zu schön, um Text zu brauchen, aber haben ihn trotzdem. Die jungen Spielenden kämpfen sich jedoch bewundernswert durch den Abend. Man wundert sich von Zeit zu Zeit, wie sie eigentlich all dies verstanden haben können, was dort auf der Bühne passiert.

Dazu gibt es eine Fülle an popkulturellen Anspielungen, deren Anwesenheit bei diesem Thema durchaus Sinn ergibt, aber doch nicht immer verständlich sind. Vielleicht entsteht so der Eindruck, dass das Stück ein größeres Ziel hatte, es aber nicht preisgab. Doch im Rausch der Bilder konnte man dieses höhere Ziel getrost links liegen lassen – genau wie Alice ihre Moralvorstellungen.