Bunte Farben und ein gesungenes Grundgesetz – Der art der stadt e.V. aus Gotha präsentiert mit „Antrag abgelehnt! – Die Würde des Menschen ist unfassbar“ eine politische Problemsammlung. Lösungen bleiben den Zuschauern überlassen. Ein Kommentar von Anton Fuchs
Sind sie naturblond, asexuell, Feminist*in oder agnostisch?
Mit Fragen wie diesen versuchen die Akteure gleich zu Beginn herauszufinden,
wer im Raum den meisten Minderheiten angehört. Klingt lustig, bekommt aber
einen bitteren Beigeschmack, wenn die Person mit den wenigsten Punkten den
Verlauf des Abends bestimmen darf, weil sie am nächsten an der „deutschen
Mehrheit“ ist. Die Entscheidung ist hier zum Glück nur, welcher der drei
vorbereiteten Spielstränge (yellow, magenta, cyan) an diesem Abend zur
Aufführung kommt. Dass hier kein allgemeingültiges Verfahren zur Konsensbildung
präsentiert wird, ist klar, doch die überspitzte Verkürzung politischer
Sachverhalte bleibt Methode an diesem Abend.
In 11 Szenen stellen die fünf Spieler*innen
(die sechste war verhindert) ihre Sicht auf die Welt dar. Und diese scheint
nicht sehr positiv zu sein: Das Stück ist anklagend und aufzählend, erzählt von
Missständen und Problemen, Persönlichem und Allgemeinem, von der Gesellschaft
(wer auch immer das ist), von Deutschland und der Welt. Darüber könnte man
durchaus depressiv werden, wäre die Anklage nicht so künstlerisch verspielt, voller
grotesker Halbsätze, Unverständlichem und Slapstick, was immer dann auftaucht,
wenn das Ganze zu belehrend zu werden droht. Dazu kommt ein Spielkonzept, das
Unterbrechungen und Stockendes geradezu vorsieht. Die Spielenden können
jederzeit Anträge stellen, die dann vom Rest der Akteure nur einstimmig
angenommen werden können. Manchmal scheinen diese wirklich spontan eingesetzt
zu werden, manchmal dienen sie nur dazu, die Pause einzuläuten. Auch trägt
jeder Akteur einen Stapel Papier mit dem Text mit sich. Bei drei möglichen
Strängen à zweieinhalb Stunden ist das wahrscheinlich eine gute Idee.
Aber von vorne: Zunächst wird von all dem berichtet, was den
Spielenden Angst macht – Europa, Freunde, Kultur, Vergangenheit. Romantisch
formuliert wird hier ein pessimistisches Gesellschaftsbild gezeichnet.
Wo soll das denn hinführen? Zurück ins Publikum. Zwischen den kurzen Fragen
gibt es nämlich immer wieder längere Absätze, die Missstände nicht explizit
anklagen, sondern einfach nur kontroverse, unsinnige oder bedenklich
konservative Themen so aussprechen, wie man es auch im Alltag immer wieder
hören kann. Wenn die fünf Akteure dann demonstrativ ins Publikum gucken, ist die
Konnotation klar: „Sowas sagen Leute wirklich! Wir teilen das nicht! – Aber du?“ Dass hierbei eine Neutralität zugrunde liegt, wirkt nur auf den
ersten Blick so. Das Stück lässt die Probleme hier nicht offen, sondern
bezieht allein durch die Auswahl klar Stellung. Bewusst werden hier grundgesetzwidrige Positionen mit legitimen moralischen Fragestellungen verknüpft. Da muss man
als Zuschauer schon dabeibleiben. Wer das Gesagte unkritisch hinnimmt, würde
wahrscheinlich auf Abwege geraten. Und genau dies wird dann in der nächsten Szene
auch vorgeführt. „Was wäre, wenn ich nicht denke?“ Dieses Gedankenspiel wird so lange weitergesponnen, bis die eigenen Gedanken nicht mehr die eigenen,
sondern fremdgesteuerte wären.
Eine Überfülle an Inhalt
So versteht sich der ganze Abend. Es wäre absurd, an dieser
Stelle alle inhaltlichen Fragestellungen zu kommentieren, alle
Begriffsdefinitionen nochmal kritisch zu hinterfragen und jedes Wort auf die
Goldwaage zu legen. Es wird nämlich schnell deutlich, dass das Ensemble eine
derart umfassende Vorarbeit geleistet hat, dass selbst in den drei Stunden, die
der Abend dauert, längst nicht alles untergebracht werden kann. Das führt auch
dazu, dass nach der Vorstellung vor allem ein Kritikpunkt immer wieder zu hören
ist: „Na ja, zu lang fand ich es schon.“ Sicherlich gibt es viel Input in diesem
Stück, zu viel vielleicht. Aber damit schlägt das Ensemble auch in eben jene
Kerbe, die inhaltlich behandelt wird – dass es einfach viel zu viel gibt, was
Menschen in der "kulturellen Blase" bewegt. Da macht es nichts, wenn ein Erklärbärblock
über die Begriffsabgrenzung von „Würde“ und „Ehre“ wie eine Vorlesung ausfällt, oder man nicht so recht versteht, warum es in der Szene „du willst verschwinden“ auf
einmal über die Unmöglichkeit des Untertauchens in einer digitalen Welt geht,
wo doch eben noch ein Antrag auf Verlesung des Grundgesetzes abgelehnt wurde.
Dieses Grundgesetz ist wohl eine der wenigen positiv
besetzten Konstanten im Stück. Immer wieder kommen die Akteure darauf zurück. Verfassungspatriotismus
wie er im Bilderbuch steht. Und trotzdem ist die Haltung auch hier keine unkritische: Offensiv wird auf Schwächen hingewiesen und werden neue Sätze eingefügt. In einer Szene unterhalten sich die Eltern des Grundgesetzes über den ersten
Artikel und stellen fest, dass die Würde doch nur der kleinste gemeinsame
Nenner eines größeren Absatzes der Weimarer Verfassung ist. Am Ende wird das
Grundgesetz sogar als Schlager gesungen.
Zwischen Wodka und Wasser
Wie wird die Fülle an Inhalt ästhetisch umgesetzt? Das
Spiel ist fast immer angenehm unpathetisch. Die Texte werden so vorgetragen und
gestaltet, dass nicht immer klar ist, ob hier eine Rollenfigur festgelegten Text
spricht oder die Privatperson eine spontane Meinung vertritt. Optisch bilden gelb,
magenta und cyan eine Konstante. Kostüme, Hintergrund, ja selbst die
Deckel der Wasserflaschen sind so gestaltet. Auch die Beleuchtung ist hieran
angepasst. Hinzu kommen Projektionen, teilweise live gefilmt, in stechendem Gelb.
Der Bühnenaufbau besteht hauptsächlich
aus multifunktionalen parlamentarischen Möbeln: Die Tische lassen sich als Kreis zusammenschieben, größere Elemente dienen wahlweise als Bar, an der dem
Publikum Wodka und Wasser ausgeschenkt werden oder als Rednerpult für eine
fiktive internationale Gemeinschaft. In Summe führte das zu einer hohen
technischen Komplexität, die leider nicht immer holperfrei funktionierte. Mal
dauert es etwas, bis das Headset läuft, mal fragt man sich, ob der Scheinwerfer
absichtlich so steht, wie er steht.
Am Ende wird klar: es bleibt kompliziert. Die Spieler*innen
berichten von der Suche nach einem guten und einfachen Schluss und wie sie ihn
wieder verworfen haben. Wenn das Pflanzen von Bäumen dann doch etwas pathetisch
wirkt, ist das wahrscheinlich einkalkuliert. Einfache Lösungen wirken eben
platt. Deshalb werden diese Lösungen auch gar nicht erst angeboten. Sie
verbleiben für den nachdenklichen Zuschauer.
Ganz viele Fotos gibt es in unserem Facebook-Album zu Antrag abgelehnt.
Ganz viele Fotos gibt es in unserem Facebook-Album zu Antrag abgelehnt.