06.10.2018

Letztendlich bleibt es kompliziert


Bunte Farben und ein gesungenes Grundgesetz – Der art der stadt e.V. aus Gotha präsentiert mit „Antrag abgelehnt! – Die Würde des Menschen ist unfassbar“ eine politische Problemsammlung. Lösungen bleiben den Zuschauern überlassen. Ein Kommentar von Anton Fuchs



Sind sie naturblond, asexuell, Feminist*in oder agnostisch? Mit Fragen wie diesen versuchen die Akteure gleich zu Beginn herauszufinden, wer im Raum den meisten Minderheiten angehört. Klingt lustig, bekommt aber einen bitteren Beigeschmack, wenn die Person mit den wenigsten Punkten den Verlauf des Abends bestimmen darf, weil sie am nächsten an der „deutschen Mehrheit“ ist. Die Entscheidung ist hier zum Glück nur, welcher der drei vorbereiteten Spielstränge (yellow, magenta, cyan) an diesem Abend zur Aufführung kommt. Dass hier kein allgemeingültiges Verfahren zur Konsensbildung präsentiert wird, ist klar, doch die überspitzte Verkürzung politischer Sachverhalte bleibt Methode an diesem Abend. 



In 11 Szenen stellen die fünf Spieler*innen (die sechste war verhindert) ihre Sicht auf die Welt dar. Und diese scheint nicht sehr positiv zu sein: Das Stück ist anklagend und aufzählend, erzählt von Missständen und Problemen, Persönlichem und Allgemeinem, von der Gesellschaft (wer auch immer das ist), von Deutschland und der Welt. Darüber könnte man durchaus depressiv werden, wäre die Anklage nicht so künstlerisch verspielt, voller grotesker Halbsätze, Unverständlichem und Slapstick, was immer dann auftaucht, wenn das Ganze zu belehrend zu werden droht. Dazu kommt ein Spielkonzept, das Unterbrechungen und Stockendes geradezu vorsieht. Die Spielenden können jederzeit Anträge stellen, die dann vom Rest der Akteure nur einstimmig angenommen werden können. Manchmal scheinen diese wirklich spontan eingesetzt zu werden, manchmal dienen sie nur dazu, die Pause einzuläuten. Auch trägt jeder Akteur einen Stapel Papier mit dem Text mit sich. Bei drei möglichen Strängen à zweieinhalb Stunden ist das wahrscheinlich eine gute Idee.




Aber von vorne: Zunächst wird von all dem berichtet, was den Spielenden Angst macht – Europa, Freunde, Kultur, Vergangenheit. Romantisch formuliert wird hier ein pessimistisches Gesellschaftsbild gezeichnet. Wo soll das denn hinführen? Zurück ins Publikum. Zwischen den kurzen Fragen gibt es nämlich immer wieder längere Absätze, die Missstände nicht explizit anklagen, sondern einfach nur kontroverse, unsinnige oder bedenklich konservative Themen so aussprechen, wie man es auch im Alltag immer wieder hören kann. Wenn die fünf Akteure dann demonstrativ ins Publikum gucken, ist die Konnotation klar: „Sowas sagen Leute wirklich! Wir teilen das nicht! – Aber du?“ Dass hierbei eine Neutralität zugrunde liegt, wirkt nur auf den ersten Blick so. Das Stück lässt die Probleme hier nicht offen, sondern bezieht allein durch die Auswahl klar Stellung. Bewusst werden hier grundgesetzwidrige Positionen mit legitimen moralischen Fragestellungen verknüpft. Da muss man als Zuschauer schon dabeibleiben. Wer das Gesagte unkritisch hinnimmt, würde wahrscheinlich auf Abwege geraten. Und genau dies wird dann in der nächsten Szene auch vorgeführt. „Was wäre, wenn ich nicht denke?“ Dieses Gedankenspiel wird so lange weitergesponnen, bis die eigenen Gedanken nicht mehr die eigenen, sondern fremdgesteuerte wären.



Eine Überfülle an Inhalt



So versteht sich der ganze Abend. Es wäre absurd, an dieser Stelle alle inhaltlichen Fragestellungen zu kommentieren, alle Begriffsdefinitionen nochmal kritisch zu hinterfragen und jedes Wort auf die Goldwaage zu legen. Es wird nämlich schnell deutlich, dass das Ensemble eine derart umfassende Vorarbeit geleistet hat, dass selbst in den drei Stunden, die der Abend dauert, längst nicht alles untergebracht werden kann. Das führt auch dazu, dass nach der Vorstellung vor allem ein Kritikpunkt immer wieder zu hören ist: „Na ja, zu lang fand ich es schon.“ Sicherlich gibt es viel Input in diesem Stück, zu viel vielleicht. Aber damit schlägt das Ensemble auch in eben jene Kerbe, die inhaltlich behandelt wird – dass es einfach viel zu viel gibt, was Menschen in der "kulturellen Blase" bewegt.  Da macht es nichts, wenn ein Erklärbärblock über die Begriffsabgrenzung von „Würde“ und „Ehre“ wie eine Vorlesung ausfällt, oder man nicht so recht versteht, warum es in der Szene „du willst verschwinden“ auf einmal über die Unmöglichkeit des Untertauchens in einer digitalen Welt geht, wo doch eben noch ein Antrag auf Verlesung des Grundgesetzes abgelehnt wurde.



Dieses Grundgesetz ist wohl eine der wenigen positiv besetzten Konstanten im Stück. Immer wieder kommen die Akteure darauf zurück. Verfassungspatriotismus wie er im Bilderbuch steht. Und trotzdem ist die Haltung auch hier keine unkritische: Offensiv wird auf Schwächen hingewiesen und werden neue Sätze eingefügt. In einer Szene unterhalten sich die Eltern des Grundgesetzes über den ersten Artikel und stellen fest, dass die Würde doch nur der kleinste gemeinsame Nenner eines größeren Absatzes der Weimarer Verfassung ist. Am Ende wird das Grundgesetz sogar als Schlager gesungen.




Zwischen Wodka und Wasser 

Wie wird die Fülle an Inhalt ästhetisch umgesetzt? Das Spiel ist fast immer angenehm unpathetisch. Die Texte werden so vorgetragen und gestaltet, dass nicht immer klar ist, ob hier eine Rollenfigur festgelegten Text spricht oder die Privatperson eine spontane Meinung vertritt. Optisch bilden gelb, magenta und cyan eine Konstante. Kostüme, Hintergrund, ja selbst die Deckel der Wasserflaschen sind so gestaltet. Auch die Beleuchtung ist hieran angepasst. Hinzu kommen Projektionen, teilweise live gefilmt, in stechendem Gelb.  Der Bühnenaufbau besteht hauptsächlich aus multifunktionalen parlamentarischen Möbeln: Die Tische lassen sich als Kreis zusammenschieben, größere Elemente dienen wahlweise als Bar, an der dem Publikum Wodka und Wasser ausgeschenkt werden oder als Rednerpult für eine fiktive internationale Gemeinschaft. In Summe führte das zu einer hohen technischen Komplexität, die leider nicht immer holperfrei funktionierte. Mal dauert es etwas, bis das Headset läuft, mal fragt man sich, ob der Scheinwerfer absichtlich so steht, wie er steht.


Am Ende wird klar: es bleibt kompliziert. Die Spieler*innen berichten von der Suche nach einem guten und einfachen Schluss und wie sie ihn wieder verworfen haben. Wenn das Pflanzen von Bäumen dann doch etwas pathetisch wirkt, ist das wahrscheinlich einkalkuliert. Einfache Lösungen wirken eben platt. Deshalb werden diese Lösungen auch gar nicht erst angeboten. Sie verbleiben für den nachdenklichen Zuschauer.


Ganz viele Fotos gibt es in unserem Facebook-Album zu Antrag abgelehnt.