20.10.2016

ANTIGONE – EINE CHORGEWALT


Auf dem Feedback-Plakat des Basislagers steht: „Die beste und stärkste Rolle war der Chor.“ In der Antigone-Inszenierung der Schotte Erfurt werden die Zuschauer mit einem gewaltigen Sprechchor konfrontiert. Dramatische Momente des Stückes werden durch ihn in Körper und Sprache dermaßen überzogen, dass sie komisch, fast slapstickartig wirken. Mit ihren gefühlsverzerrten Fratzen, ihren gehorsamen Erdmännchenbewegungen und dem atmosphärischen Getuschel verstärken die Darsteller*innen des Chores die kleinen, ruhigen und gesetzten Einsätze des Königs Kreon. König Kreon braucht nur schnipsen, einen Finger heben und schon geht ein Gemurmel, ein Schrei durch den Chor und ein Gänsehaut-Moment durch das Publikum.
Der Chor. Die perfekten Untertanen für einen König, der nur sich und nur sich auf einem Thron sieht. Vielleicht hätte an der einen oder anderen Stelle eine inszenierte Stellungnahme zu den antiken Rollenbildern und unfairen Machtverhältnissen gut getan.





Die Aufführung war laut und leise.
Spieler*innen hielten die Stille aus und Gefühle zu, bis die Wut der Figuren ausbrach, der Zerstörungszwang nicht mehr zu bremsen war, der Sturm tobte.


Die Aufführung war brutal und liebevoll.
Ein Vater schlägt seinen Sohn zu Boden, eine Mutter schaut tatenlos zu, ein Sohn liebt so sehr, dass er sterben will, eine Schwester liebt so sehr dass sie dafür den eigenen Tod in Kauf nimmt. Und im Endeffekt ist es immer das Druckmittel Tod.


Die Aufführung war überall.
Nirgends waren die Zuschauer sicher. Das Spiel als Stereo. Darsteller*innen auf der Bühne, im Off, im Zuschauerraum, bei der Technik, vorne, hinten, links, rechts und immer wieder mittendrin.
Wir konnten den eindringlichen, flehenden, fordernden Blicken nicht entkommen. Natürlich hielten wir mal eben kurz für Antigone die Vase, suchten unter uns diejenigen, die den Leichnam begraben hatten und hätten beinahe selbst Antigone ausgeliefert.
Imke Bachmann