27.10.2012

DEN THEATERBETRIEB VON HINTEN AUFBOHREN

Darauf war ich gespannt: Die zweite Preisnominierung in der Präsentation, "Der nackte Wahnsinn" von Michael Frayn, ist eine temporeiche Komödie, die den Theaterbetrieb gleichsam von hinten aufbohrt: Eine mittelmäßige Schauspieltruppe versucht, eine Boulevardkomödie zu spielen, und nichts klappt - am Vorabend der Premiere! Unfähigkeit, Eitelkeiten, Intrigen, Eifer- und Trunksucht hinter den Kulissen, der Regisseur hat gleich mehrere Affairen parallel im Ensemble laufen, so dass nur katastrophales Scheitern unausweichlich scheint - und auch folgerichtig eintreten wird. So weit der Plot.


Also Theater im Theater im Theater - eine Präziose für eine Theatergruppe, die ihr Handwerk versteht, und insbesondere eine Steilvorlage für ein Amateurensemble, das mit den Künstlerallüren an professionellen Bühnen wenig am Hut hat. 
 

Das TAM versteht sich genau so und hat diese Herausforderung mit Erfolg angepackt. Beherzt wurden dabei die ursprünglich drei Akte auf zwei eingedampft.
Um das Beste vorweg zu nehmen: Im zweiten Teil nach der Pause geht wirklich der totale Wahnsinn ab, Slapstick pur, private wie theatralische Kalamitäten, wohin das Auge des Zuschauers auch voll des lustvollen Ergötzens wandert. Angereichert noch um aktuelle Anspielungen der unterschiedlichsten Art. Herausragend von seinem ersten Auftritt an Timo Bamberger, der genial bis in die kleinsten Details den geistreichen Alkoholiker Selsdon verkörpert, der seinerseits im Stück im Stücke den cleveren Einbrecher zu spielen hat. Die blutjunge Antonia Holl gibt die beunruhigend laszive Diva Brooke mit viel Mut zum Kontakt (bis in die ebensolchen Linsen hinein). Sie schlingt sich mit einer phänomenal mondänen Verruchtheit und röhrender Altstimme an ihre Bühnenpartner, wobei die Differenzierung zwischen der Rolle und der Rolle in der Rolle vor allem in der Person des Angeschmachteten zum Ausdruck kommt - wahlweise ihr Bühnenpartner oder der Regisseur. Esther Hilsemer als Regieassistentin Poppy und Konkurrentin um die Gunst des Regisseurs Lloyd dreht entsprechend mit auf, dabei gelingen ihr herzerfrischend absurde Parodien weiblichen Balzverhaltens mit zauberhaft entgleisenden Catwalks. Spielfreude, rasante Action, Mut zum Körpereinsatz und nicht zuletzt auch eine prickelnde Koordinationsleistung begeisterten, vor allem im Teil nach der Pause. Sebastian Danz als Regisseur Lloyd erspielte sich einen verdienten Lacher durch das selbstmitleidig-katatonische Abspulen einer langen Liste eigener Inszenierungspannen in Nonstop-Hyperschnellsprechmodus.


Aber es bleiben auch gewichtige Wermutstropfen. Mich enttäuschte, dass den meisten Spielern nicht die erforderliche Differenzierung zwischen einer glaubhaft wirkenden Person des (gespielten) Schauspielers und der von diesem auf der Bühne gemimten Rolle gelang. 
Da lief zu viel auf einer einheitlich überkandidelten Ebene. Die Gefahr, beides "overacted" zu bringen, ist natürlich groß. Der eine Darsteller, der beides voneinander absetzte, überzog aber gerade die Schauspielerperson mit einer derartigen Grenzdebilität, dass die in gewollt schlechtem Spiel gebrachte Obermackerpose der Rolle in der Rolle so gar nicht ginge. Schade, hier wäre weniger meist mehr gewesen. Gleiches gilt auch für das unmotivierte, wilde Händegefuchtel einiger der Darstellerinnen, was dann Nervosität oder Angst vor ätzend-zynischer Zurechtweisung des Regisseurs illustrieren sollte. Das geht glaubwürdiger.
Zugute halten muss man dem Ensemble, dass einige Rollen erst vor ganz kurzer Zeit neu hatten besetzt werden müssen. Naja, das Wenden der Kulisse habe ich in einer Schüleraufführung in Ilmenau letztes Jahr übrigens schon konsequenter gesehen.
Fazit: Sehr lebendige Umsetzung einer klassischen Komödie mit Highlights und kleinen Abstrichen.

Kay Gürtzig / Fotos Dr. Bernd Seydel