Die Abschlussinszenierung des Avant Art Festivals kommt vom Stellwerk Weimar: Mit „Alice im Runwayland“ präsentieren sie ein altes Thema im performativen Gewand. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen konventionell und innovativ.
Ein Kommentar von
Anton Fuchs
Es gibt keine Bühne – oder na ja: es gibt eine Raumbühne. Als
einzige Gruppe traut sich das Stellwerk, auf konventionellen Bühnenaufbau zu
verzichten. Auf der Hinterbühne des Kulturhauses sind zwei große Spiegelwände
und ein Laufsteg aus Gras aufgebaut. Die Zuschauer sitzen dazwischen. Dies
führt unweigerlich zur seltsamen Situation, dass man zu keinem Moment ein Gesamtbild
der Situation bekommt. An sich ein spannendes Mittel, nur die zweite Reihe
musste mit erheblichen Sichteinschränkungen leben. Die Spielenden zwischen 13
und 19 Jahren agieren die ganze Zeit. Permanent passieren Dinge, und man fragt
sich: Entgeht mir gerade möglicherweise der Schlüssel, um das Ganze zu
verstehen? Aber damit muss man klarkommen. Denn auch die Bilder, die man sieht, haben ihren Reiz: ausgefeilte Gruppenchoreographien, spannend beleuchtete
Bilder und angedeutete Schmerzperformance. Dabei vermischt die Gruppe
inhaltlich die Geschichte von „Alice im Wunderland“ mit der TV-Show "Germanys next Topmodel".
Die Mischung funktioniert. Die Gleichsetzung des unlogischen Wunderlands mit
dem verrückten System der Modeindustrie erschließt sich direkt. So direkt, dass
man sich wundert, dass dieses eine Thema einen ganzen Abend tragen kann.
„Ich habe kein
richtiges Talent, aber ich bin hübsch“
Als Alice ins Wunderland kommt, wird schnell klar, dass ihre
Motivation aus einer Unsicherheit mit dem eigenen Körper entspringt. Sie sucht
Bestätigung. Diese bekommt sie aber nur für bedingungslosen Gehorsam gegenüber
einem verrückten System. Jeder scheint es gut mit ihr zu meinen, doch schlussendlich
treiben sie alle immer weiter in den Wahnsinn. Der Dr. Hutmacher verordnet
Schönheitsoperationen, die Königin hört Punk und den Hasen gibt es gleich zweima. Die Grinsekatze scheint mit ihren Ratschlägen einer besten Freundin nur helfen
zu wollen und füttert Alice doch bloß mit Watte. Lediglich die auf einer Mauer in
der Mitte sitzende Haselmaus erscheint hin und wieder als eine Stimme der
Vernunft. Wer sich als Zuschauer dabei an der Geschichte des Wunderlands
entlanghangeln will, kommt schnell an seine Grenzen: Viele Figuren sind nur
angedeutet oder vermischen sich mit anderen. Das ist manchmal eher verwirrend
als hilfreich. Alles geschieht dabei in einem lakonischen Vortragsmodus, der
dem Ganzen den Anschein der Normalität gibt. Meistens zumindest.
Zeitgleich will das Stück gar keine Handlung präsentieren,
sondern Performance sein. Das klappt weite Teile des Stückes sehr gut. Immer
wieder kämpfen diese beiden Elemente aber auch gegeneinander an. Die Performance
wirkt zu einstudiert, um spontan zu sein. Die Bilder sind eigentlich zu schön, um
Text zu brauchen, aber haben ihn trotzdem. Die
jungen Spielenden kämpfen sich jedoch bewundernswert durch den Abend. Man
wundert sich von Zeit zu Zeit, wie sie eigentlich all dies verstanden haben
können, was dort auf der Bühne passiert.
Dazu gibt es eine Fülle an popkulturellen Anspielungen,
deren Anwesenheit bei diesem Thema durchaus Sinn ergibt, aber doch nicht immer
verständlich sind. Vielleicht entsteht so der Eindruck, dass das Stück ein
größeres Ziel hatte, es aber nicht preisgab. Doch im Rausch der Bilder konnte
man dieses höhere Ziel getrost links liegen lassen – genau wie Alice ihre
Moralvorstellungen.