15.06.2014

BLAUE STUNDE: Wasser ist Leben

Flüssiges Gastspiel aus Sachsen

Die letzte gezeigte Produktion dieses wieder viel zu schnell zu Ende gegangenen Festivals war kein Wettbewerbsbeitrag, doch ein abschließendes Theater-Highlight ohne Worte.
Genau genommen waren es zwei Gastspielstücke aus einem choreographischen Zyklus der Dresdener kurz&lang dance company.
Alles drehte sich um die für das Leben wichtigste Flüssigkeit unseres Planeten:

Elastomeer

Ein Filmvorspann zeigt immer wieder drei Menschen, die sich gleichzeitig kopfüber in das Becken eines menschenleeren Hallenbades stürzen, wonach sich dessen bewegte Oberfläche glättet, ohne dass die Frauen je wieder aus dem Wasser auftauchten.
Unvermittelt erscheinen dieselben drei jungen Frauen nun auf der Bühne, tanzen sich in wiegende, fließende Bewegungen hinein, entledigen sich ihrer Blusen, werden zu Wasserwesen, Pflanzen, Fischen, Strömungen, Turbulenzen. Starke Scheinwerfer werfen ihre Silhouetten an die Bühnenrück(lein)wand, wo jene sich transient zu mystischen Formen mischen.



Bis eins der Wesen sich (in einem evolutionären Prozess?) in einen Menschen (rück-)verwandelt, die Bluse wieder überstreift, Unmengen von Gummi- und Plastmüll um sich wirft, schließlich dem Gewässer das Wasser in Einwegplastflaschen vorzieht und am Rande hortet.
Derweil kämpfen sich die verbliebenen beiden Wasserwesen immer mühsamer durch den Unrat, verheddern und verstricken sich darin, ringen in einem Zellophan-Kokon nach Sauerstoff, erlahmen.
Der Mensch am Rande trinkt, wäscht sich aus den Plastikflaschen, die er nach Leerung ins verseuchte Gewässer wirft, vergeudet und vergießt das Nass immer rasender.

Der Film des Vergossenen auf der Bühne reflektiert die herumwirbelnde Figur in ölig verzerrten Bildern auf die Bühnenrückwand zu synchronen, undeutlichen und zugleich beunruhigenden Mustern in Bräunlich-Gelb.
Das fast schon herbeigesehnte Black erlöst nicht.

Aqua

Nach der Pause beherrscht eine still stehende Figur in Blau sowie das metronomhafte Geräusch eines fallenden Wassertropfens die Bühne. Die Frau greift eine aus einer Batterie von Plastwasserflaschen und beginnt, sich mit deren Inhalt Hände, Arme, Schultern und Beine zu übergießen – nur dass der Inhalt nicht Wasser, sondern feiner grauer Sand ist. Aus einer zweiten Flasche rinnt der graue Staub über Brust, Rücken und Kopf.
Dann wirft sich die Tänzerin auf den Boden, und es ist unglaublich, mit welchen Verrenkungen bei sanftem Meeresrauschen aus ihren Armen, Händen, Beinen sich im Wasser wiegende und gedeihende Polypen, Mollusken, Muscheln werden.
Plötzlich zerreißt das Dröhnen schwerer Schiffsdiesel das Spiel der Korallen und Wassertiere. Undefinierbare Ablagerungen erscheinen auf dem Meeresboden. Das schwer erträgliche Fiepsen von Ortungsgeräten, das dumpfe Grollen von Rammen und andere Missklänge „bereichern“ die Unterwasserakustik, und die Bewegungen der Tänzerin verlieren die geschmeidige Eleganz, werden zuckend, hektisch, gestresst. Und ihre in rasender Geschwindigkeit auf dem Boden vollführten Gliederverwerfungen evozieren ebenso Bewunderung wie die Vorstellung von Schmerz.
In hart gegenläufigem Blau- und Grünlicht flieht die gebeutelte Kreatur in ein Aquarium.


Gut, dass diese Performance ohne Worte auskam, nachdem in diesen Tagen schon so viele Textkonvolute auf die Teilnehmer eingeprasselt sind.
Die hier dargestellten Botschaften sind keine Überraschung, sie bedürfen keiner Argumentation mehr, sie bedürfen der auf diese Weise gelungenen (Ein-)Dringlichkeit. Sie müssen ins Herz, in die Träume. Sie müssen in neues Handeln münden.

Kay Gürtzig